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Heute schon mal morgen sehen – ein Besuch bei Raumgleiter

«X-Wing» und «Millennium Falcon» statt «Amsterdam» oder «Nizza». Wenn Sitzungsräume nach Raumschiffen benannt sind und in den Ecken der Büros riesige Legomodelle aus dem Star-Wars-Universum stehen, befindet man sich im Zürcher Hauptquartier von Raumgleiter.

Hier wird nicht nur seit 17 Jahren das aktuell Mögliche im Bereich der Immobilienvisualisierung umgesetzt. Hier wird stets mit Hochdruck daran gearbeitet, dass Umwerfendes von heute schon morgen recht gestrig dasteht. Ein Interview mit dem Gründer und bald scheidenden Geschäftsführer Martin Meier über seinen Weg vom Computerfreak zum Unternehmer, die Herausforderungen der Branche und das schön schlimme Gefühl vom Loslassen und Neubeginnen.

Herr Meier, wie wird man vom Architekten zum Raumgleiter?
Obwohl ich nach der Matura Architektur studiert habe, begann meine Laufbahn schon vorher. Ja, sie wurde von meinem Studium eigentlich eher unterbrochen. Meine Jugend fand in den Achtzigern statt, und ich war ein Computerfreak der ersten Stunde. Ich verbrachte meine Tage oder besser Nächte im fahlen Schein der 4096 Farben meines Amiga-Monitors, und schon damals war vieles virtuell. Mein Freundeskreis bestand aus Hackern aus ganz Europa. Heute ganz normal, doch damals sehr «strange» und Grund zur Sorge bei Eltern und Umfeld. Mein Studium an der ETH finanzierte ich dann als Verkäufer von Architektursoftware. Nach meinem Abschluss suchte ich zuerst einen klassischen Berufseinstieg und begann bei einem grossen Architekten, Santiago Calatrava, zu arbeiten. Montag bis Sonntag, 70 Stunden die Woche.

So weit, so normal.
Ja, ist es für einen jungen Studienabgänger. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, das weiter durchzuziehen. Es ging allerdings nicht um die Zeit, die ich investieren sollte. Es war mehr das Thema. Wie viele Jahre sollte ich so ackern müssen, um dann in ein ganz normales Architekturbüro einsteigen zu können? Das reizte mich absolut nicht. Ich hörte auf und machte mich nach einem kurzen Umweg über die ETH im Bereich Visualisierung selbstständig. Raumgleiter war geboren …

 und setzte danach über fast zwei Jahrzehnte Meilensteine in der Branche.
Die Visualisierung hat sich seither rasant entwickelt – woran wir mit Raumgleiter tatsächlich nicht ganz unschuldig sind. Damals gab es für Immobilien Grundrisse und aufwändig gebastelte Baumodelle. Wenn es hoch kam, erste in 3D-visualisierte Grafiken – die meisten in erschreckend schlechter Qualität und sicher keine Hilfe bei der Emotionalisierung eines Projektes. Da war ich aus der Computerwelt anderes gewohnt. Heute sind wir unheimlich viel weiter. Unsere Kunden können am Computer oder in einer App die Bauten aus jedem gewünschten Winkel betrachten, heranzoomen oder begehen. Auf dem Smartphone oder mit einer 3D-Brille. Fast wie im Holodeck der Enterprise.

Nicht auf einem Raumschiff und ganz real am Boden befindet sich der «Decision Room» in Zürich-West. Es ist ein Raum, den man, vorsichtig formuliert, als Sitzungszimmer bezeichnen könnte. Sichtbar sind unzählige Bildschirme in jeder Grösse. Unsichtbar bleiben die leistungsstarken Rechner und der Rest von Hightech. Gesteuert wird alles durch Spracheingabe oder durch Berührungen. An der Wand ein Modell des ehemaligen Siemens-Areals in Altstetten, heute zum modernen Cluster «YOND» umgebaut. Mit einem Finger dreht sich das Modell. Mit zweien zoomt man rein. Tageszeit, Jahreszeit, Sonnenstand und Schattenwurf: Alles mit ein paar Gesten dargestellt und sofort erfahrbar gemacht. Einarbeitungszeit gleich null – jedenfalls für jeden, der ein aktuelles Smartphone zu bedienen weiss. Das Gespräch geht weiter, während Martin Meier nach dem Headset für die virtuelle Begehung sucht.

Was fasziniert Sie an der Visualisierung von Bauten?
Visualisieren heisst für mich vor allem emotionalisieren. Mit einer 3D-Darstellung kann man Menschen, Objekte oder Orte erfahrbar und zugänglich machen, wie es kein gedrucktes Bild je schaffen würde. Und das lange, bevor irgendetwas gebaut oder umgebaut wird. Für Swiss Prime Site beispielsweise hat Raumgleiter das «YOND» visualisiert, ein komplett neuartiges Raumangebot für Unternehmen im Wachstum und Wandel. Dieses Konzept ist wirklich neu und nicht ganz einfach zu erklären. Das muss man dann auch nicht. Wir schicken die Leute einfach in die virtuelle Realität ihrer neuen Räume, wo sich ihnen alles sofort und ganz intuitiv erschliesst. Und wer keine Zeit hat hierher zu kommen, der lädt sich das Ganze schnell als App runter.

Weshalb investiert Swiss Prime Site Immobilien so viel in so eine luxuriöse Visualisierung?
Dafür gibt es vor allem einen sehr rationalen Grund: um Geld zu sparen. Die Vermietung oder der Verkauf solcher Immobilien geht dank Visualisierung viel schneller, und Leerstände sind viel teurer als jede noch so aufwändige Visualisierung. Hochwertige Immobilien sollten auch hochwertig vermarktet werden, um sich so von der Masse abzuheben. Je besser visualisiert, desto schneller vermarktet. Wir bieten eine hohe Qualität und schaffen damit für unsere Kunden grossen Mehrwert. Aber auch dem Mieter oder Käufer ist gedient: Er kauft nicht die Katze im Sack respektive den Bau ab Plan. Und er kann sein Objekt emotional erfahren. Das ist unglaublich wertvoll bei wichtigen Entscheidungen.

Im Flur stehen zwei Artefakte der speziellen Art: erste Exemplare von Drohnen, die Raumgleiter mit Unterstützung der ETH vor acht Jahren zusammengebaut hat. Damals waren Drohnenfotografie oder Videos absolutes Neuland. Heute sind die Nachfolgemodelle unverzichtbar bei der Visualisierung von Objekten und deren Umgebung. Ein paar Schlaufen über einem Gelände, und die Software baut ein dreidimensionales und fotorealistisches Bild des gesamten Areals. Auf dem Weg vom «Decision Room» in die Lounge sprudelt es aus Meier heraus: Stiftungsrat bei Greenpeace. Gründer des Schweizer Tesla-Clubs. Investor und technologischer Business Angel in einem MedTech-Startup im Bereich Stammzellen. Vater, Ehemann, Legofan.

Ihre aktuellen Projekte sind beeindruckend. Trotzdem scheint Sie das Morgen immer noch ein wenig mehr zu interessieren als das Heute.
Als Unternehmer muss ich auch das Heute immer in alle Überlegungen mit einbeziehen. Aber es ist natürlich so, dass mich die Zukunft enorm interessiert. Bereits den nächsten Schritt tun und am übernächsten rumstudieren. Im Moment interessieren mich zum Beispiel alternative Energiequellen und die Umweltthematik am meisten.

Sie haben sich nach 17 Jahren entschlossen, Raumgleiter loszulassen und etwas ganz Neues zu machen. Ein schwieriger Schritt?
Ja, am Anfang war es schon irgendwie schwer. Es fühlte sich schlimm an, dem Unternehmen und den Mitarbeitenden Adieu zu sagen. Aber sie ist auch schön, die neue Freiheit. Es ist schliesslich eine riesengrosse Chance – für beide, Raumgleiter und mich. Die Firma ist beim neuen Eigentümer perfekt positioniert und mit dem neuen Management in besten Händen. Und ich habe jetzt die Möglichkeit, schon mal das Loslassen zu üben. Nicht erst mit 65 oder wenn meine Tochter erwachsen ist. Jetzt habe ich beide Hände und den Kopf frei, kann nochmals richtig Gas geben und mich in etwas Neues stürzen.

Was wird das sein?
Eigentlich habe ich noch keine Ahnung. Grosse Lust habe ich auf alles, was rund um das Thema BIM, Building Information Modelling, gerade passiert und noch passieren wird. Jetzt nehme ich erstmal ein paar Wochen Urlaub und schaue dann weiter. Vielleicht kommt aber ja auch alles ganz anders. Ich habe mir vor ein paar Wochen für die Zeit nach Raumgleiter schon mal eine persönliche Website eingerichtet: www.meier.vision finde ich eigentlich schon mal recht passend für mich. Und siehe da, ich habe noch nicht mal Visitenkarten verteilt, und schon kommen erste, recht spannende Anfragen per E-Mail rein.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer bisherigen Branche?
Der Bausektor wird in Richtung Digitalisierung gehen, und wie gesagt wird BIM das Thema der nächsten Jahrzehnte. Virtual Reality, Augmented Reality, künstliche Intelligenz … Es wird sicher nicht langweilig. Vor allem auch, weil die Ansprüche der Endkunden enorm wachsen. Alles unter dem Niveau ihres aktuellen Smartphones wollen die nicht mehr akzeptieren.

Viel Erfolg bei Ihren nächsten Vorhaben und vielen Dank für das Gespräch!

Schon kommt der nächste Besuch für Martin Meier – wir haben überzogen. Aber zu spannend war dieses Abheben in modernste Sphären der Technologie an der Seite eines faszinierenden Menschen, der Computerhandwerk und Kopfkino zukunftsweisend miteinander zu verbinden weiss.


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