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Raumplanung und Wohnungsmarkt der Zukunft: Weniger und vor allem bessere Regulierungen

«Die Schweiz braucht eine Raumplanung, die sich mehr am Morgen als am Heute orientiert», findet Patrik Schellenbauer, Chefökonom des Think-Tanks Avenir Suisse.

Herr Schellenbauer, als Chefökonom von Avenir Suisse thematisieren Sie seit Längerem das «Trilemma der Schweizer Raumplanung». Was meinen Sie damit?
Die drei Hauptziele der Schweizer Raumplanung lassen sich schlicht nicht vereinen, nämlich «Zersiedelung bremsen», «günstiges Wohnen ermöglichen» und «wirtschaftliches Wachstum unterstützen». Zu allen drei gibt es einen breiten Konsens, aber es gibt auch vielfältige Spannungsverhältnisse zwischen ihnen, und leider spricht die Politik diesen Zielkonflikt ungenügend an. So bedeutet Wachstum eine Einkommenszunahme und damit verbunden auch steigenden Wohnbedarf, aber der Raum in der Schweiz ist beschränkt. Bebaut man – um die Wohnkosten tief zu halten – entsprechend mehr Fläche, führt das zu mehr Zersiedelung. Schränkt man hingegen die Bodenverfügbarkeit ein, führt die hohe Nachfrage wegen des eingeschränkten Angebots zu höheren Wohnkosten. Wollte man umgekehrt tiefe Mieten und weniger Bodenverbrauch, müsste man auf Wachstum und damit Wohlstand verzichten. Mit solchen Zielkonflikten müssen wir offener umgehen.

Gibt es keinen Ausweg?
Doch, die Lösung wäre im Prinzip einfach: Sie heisst Verdichtung.

«Verdichtetes Bauen» ist für viele Schweizerinnen und Schweizer ein Reizwort 
Ja, gleichzeitig ist es das Zauberwort vieler Planer und Politiker. Es gibt viele gelungene Beispiele für hochwertige Verdichtungsmassnahmen – attraktive Arealüberbauungen, umgenutzte Industriebrachen, moderne Ersatzneubauten mit höheren Ausnützungsziffern. Trotzdem sind wir in der Schweiz weit weg von wirklicher Dichte. Vergleichbare Zentrumsquartiere sind in Paris zwei bis drei Mal dichter gebaut als in der Stadt Zürich, wie die Studie «Städtische Dichte» von Avenir Suisse zeigte. Weiteres Beispiel: Man könnte die ganze Schweiz mit 8,25 Millionen Menschen auf der Fläche des Kantons Zürich unterbringen und hätte dann eine Einwohnerdichte wie Greater London. Und selbst da gibt es viele Parks und Einfamilienhausquartiere.

Welches wären denn die Folgen der Verdichtung?
Weniger Pendlerverkehr, geringere Infrastrukturkosten, höhere Produktivität, mehr Innovation und mehr Natur in der Peripherie. Urbane Dichte hat viele Vorteile, der wohl wichtigste aber ist, dass Kreativität vor allem in städtischen Räumen gedeiht. Und Innovation ist die Grundlage des Wohlstands und eines guten Lebens.

Wie erklären Sie denn, dass in der Schweiz zu wenig verdichtet wird, wenn das nur Vorteile hat?
Die Schweiz verstädtert zwar zunehmend, bald 80% wohnen in Städten und deren Agglomerationen. Dazu kommt, dass die Raumplanung eine kantonale Kompetenz ist – das Gesamtbild hat wenig Gewicht. Und die Seele vieler Schweizerinnen und Schweizer bleibt bis heute ländlich. Es ist die Sehnsucht nach dem ländlich-bäuerlichen Idyll, die viele prägt, sogar in den Kernstädten. Deshalb mögen wir keine Dichte. Man kann aber letztlich nicht eine kleine Weltstadt und «Downtown Switzerland» sein wollen und gleichzeitig dem Haus mit Gärtli nachhängen. Dazu kommt der NIMBY-Reflex – selbst diejenigen, die für höhere Dichte sind, finden im konkreten Fall: Not in my backyard, also bitte nicht vor meiner Nase verdichten, hier ist es gerade sehr ungünstig. Leider ist diese Haltung verbreitet.

Wie könnte die Politik helfen, das Trilemma der Raumplanung aufzulösen?
Vorab: Eine übergeordnete Raumplanung und Regeln beim Bauen sind auch aus einer liberalen Warte sinnvoll. Die Planung und Regulatorien sind aber oft zu starr und stehen der Verdichtung und einer sinnvollen Nutzung der engen Verhältnisse der Schweiz oft im Weg. Es braucht mehr Freiheiten für die Eigentümer und Bauherren, zum Beispiel über eine Lockerung der maximalen Ausnützung und der Bauvorschriften. Der Anreiz, dichter zu bauen, ergibt sich von selbst aus den hohen Bodenpreisen.

Auf den Punkt gebracht: Ihr Rezept lautet Deregulierung. Dafür gibt es aber keine Mehrheiten.
Eine massvolle Mehrwertabgabe bei Aufzonungen könnte helfen, Akzeptanz zu schaffen, wenn sie für die Aufwertung des Quartiers verwendet wird. Wir müssen uns auch von tradierten Denkmustern lösen. In Japan etwa basieren die zulässigen Nutzungen in einer bestimmten Zone auf Maximalwerten von Emissionen. Wer belegt, dass er diese nicht überschreitet, darf zum Beispiel auch ein Gewerbeobjekt in einem Wohnquartier bauen oder umgekehrt.

Was könnte das für die Schweiz bedeuten?
In der Schweiz ist Wohnraum schon länger knapper als Büroraum: Die Wohnungsmieten steigen, während die Büromieten stagnieren oder fallen. Aber flexible Umnutzungen von Büros oder Gewerbeflächen in Wohnraum sind im starren Zonenkorsett kaum möglich. Die Idee der Zonenordnung stammt denn auch aus einer Zeit, in der Industrie und Gewerbe lärmig waren und stanken, darum hat man Wohnen und Arbeit räumlich getrennt. Sie diente also dem Schutz der Bevölkerung. Heute schadet dies mehr, als es nützt. Wir sind schon längst zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft geworden. Da rauchen keine Hochöfen oder Fabrikschlote mehr.

Sie ziehen also gemischtes Bauen getrennten Zonen vor?
Ja. Wenn in den Städten kein Wohnraum mehr gebaut werden kann, wird das Bevölkerungswachstum automatisch in die Agglomeration und die Peripherie gelenkt. Die Leute pendeln von dort aus zum Arbeitsplatz, und die Städte ufern immer mehr aus. Der Berufsverkehr beeinträchtigt aber die Lebensqualität. Verdichten wir die Städte auf ein sinnvolles Mass, können mehr Menschen dort leben, wo sie arbeiten. Sie haben aufgrund kürzerer Arbeitswege zugleich mehr Freizeit.

Und was halten Sie davon, die Neubauquartiere in den Speckgürteln zu verdichten?
In der Agglomeration schlummern die grössten Verdichtungspotenziale. Man muss Strategien entwickeln, um die inneren Agglomerationsgürtel zur Stadt umzubauen. Ein interessantes Labor dafür ist zum Beispiel das Limmattal. Statt den heute üblichen maximalen Ausnützungsziffern könnten die Gemeinden oder die Kantone in den Zentrumszonen (z.B. um ÖV-Knotenpunkte) minimale Ausnützungsziffern vorschreiben. Das wäre ein radikaler «Game-Changer».

Es gibt Bestrebungen, den Pendlerverkehr einzudämmen. Homeoffice wird gerade von allen Seiten propagiert.
An diesem Beispiel zeigen sich die Folgen fragwürdiger Regulierung: Arbeitsplätze dürfen zonenrechtlich nicht in Wohnquartieren entstehen, also pendeln die Leute, mit den bekannten Staufolgen auf der Strasse aber auch im öffentlichen Verkehr. Jetzt propagiert man Homeoffice, um die Verkehrsspitzen zu brechen. Damit verlegt man den Arbeitsplatz direkt in die eigene Wohnung. Man fragt sich, ob es nicht besser wäre, Büros in Wohnzonen zuzulassen. Homeoffice hat im Übrigen nicht nur Vorteile. Die Pflege einer Firmenkultur erfordert die persönliche Interaktion der Mitarbeitenden.

Ein Grossteil der Bauinvestitionen wird nicht von der öffentlichen Hand, sondern von institutionellen Investoren, Immobilienfirmen und Privaten getätigt. Was könnte deren Beitrag zu einer positiven Raumentwicklung sein?
Die privaten Akteure sollten den Mut zu innovativen und kreativen Konzepten aufbringen, welche die sich ändernden Bedürfnisse aufnehmen. Vor Kurzem durfte ich an der Grundsteinlegung des Swiss-Prime-Site-Projekts «Yond» in Zürich eine Rede halten. Ich führte aus, dass diese Projektentwicklung eine radikal neue Idee des Büros verkörpert. Ein Nutzer mietet dort Raum, nicht Fläche. Den kann er dann so gestalten und bewirtschaften, wie er es gerade braucht – hochflexibel und ohne hohe Anpassungskosten: ein Zwischengeschoss einziehen oder mit kreativen Elementen (z.B. einem kleinen Auditorium) spielen. Das kommt dem heutigen Anspruch an Flexibilität sehr entgegen, den die Generation der Millennials als Start-up-Unternehmer hat.

Flexibilität ist nicht gerade die Stärke klassischer Immobilien – sie sind unbeweglich, wie der Name schon sagt.
Das muss nicht so sein. Auch heute noch baut man in der Schweiz eher konventionell und auf sehr lange Haltbarkeit: solide, beständige Hardware. Doch ist das ein Konzept für die Zukunft? Die Millennials möchten flexibler und kreativer wohnen, als dies das Standardprodukt «4½-Zimmer-Wohnung» zulässt. Einmal brauchen sie viel Platz, dann wieder nur ein Bett zum Schlafen, dafür mieten sie eine Bleibe in einer anderen Stadt dazu. Mit den neuen digitalen Arbeitsformen werden sich auch die Wohnbedürfnisse radikal ändern. Wer hier die Pionierrolle einnimmt, verschafft sich enorme Marktchancen. Dem stehen aber viele Vorschriften entgegen. Auch die Baugesetze müssen sich dem digitalen Zeitalter anpassen.

Flexibilität auch für Mieter?
Natürlich, die Schweiz ist noch immer ein Land der Mieter, die Mehrheit wohnt nicht in den eigenen vier Wänden. Aber hier gibt es seit einiger Zeit Fehlentwicklungen.

Was meinen Sie damit?
Mieten machen fast 20% an unserem Sozialprodukt aus, das allein zeigt die grosse Bedeutung. Ich halte das geltende Mietrecht für eine der schädlichsten Regulierungen der Schweiz. Die Mieten sollen gemäss dem Grundgedanken des Gesetzes auf historischen Bodenpreisen und Erstellungskosten beruhen, die steigende Nachfrage nach Wohnraum soll hingegen keine Rolle spielen. Als Ersatz des ausgehebelten Marktes hat man die Entwicklung der Mieten gesetzlich an die Zinsen geknüpft.

Das ist doch sinnvoll, denn tiefere Zinsen heissen tiefere Kosten für den Vermieter.
Aber der Wohnungsbestand ändert sich kurzfristig nicht mit dem Zins. Die Zinsanbindung folgt keiner ökonomischen Logik, sondern einer juristischen. Weil sie falsche Anreize gibt, führt sie zu hohen Einbussen beim Wohlstand von uns allen, und «gerecht» ist sie auch nicht. Wenn man die Mieten deckelt, endet das zwangsläufig in einer Rationierung. Was früher die Lebensmittelmarken waren, sind heute die Belegungsvorschriften im gemeinnützigen Wohnbau.

Aber wenn allein die Nachfrage die Höhe der Mieten bestimmte, wären sie dann nicht wesentlich höher?
Nein, die Mieten wären im Gegenteil tiefer als die Neumieten heute, denn der Wohnungspark würde besser genutzt und das Angebot erweitert. Was wir heute sehen, ist ein klassisches Insider-Outsider-Phänomen. Wer eine Wohnung mietet, hat wegen sinkenden Zinsen von sinkenden Mieten profitiert, obwohl Wohnraum knapper wurde. Deshalb kündigt an einer begehrten Lage (vornehmlich in den Städten) niemand einen langjährigen Mietvertrag, wenn er nicht muss. Der kleine Teil von frei werdenden Wohnungen trifft derweil auf eine starke Nachfrage von Zuzügern. Dies führt im freien Teil des Marktes zu überschiessenden Mieten.

Was ist das Problem daran?
Der Keil zwischen den Insidern (ansässige Altmieter) und den Outsidern (Zuzüger, mobile Haushalte, Jungfamilien) wird immer grösser. Aber das ist «nur» die Ungerechtigkeit. Auch der «Wohlstandskuchen» als Ganzes schrumpft, unter anderem weil die Mobilität sinkt. Viele Mieter/innen leben nämlich in nicht mehr passenden Wohnungen, denn der Umzug in eine andere Wohnung wird bestraft. Dass einige Leute nun ihre Wohnungen über Airbnb untervermieten, ist eines der sichtbaren Symptome dieses Zustands.

Wie könnte man den Wohnungsmarkt denn besser gestalten?
Wir stellen uns einen Markt mit verschieden langen Mietdauern vor, analog dem Markt für Festhypotheken mit verschieden langen Laufzeiten. So gäbe es einen Preis für 2-jährige Mietverträge, für 5-jährige usw. Während der Laufzeit wäre die Miete fix oder fest gestaffelt. Dies schützt Mieterinnen und Mieter vor Missbrauch. So könnte ein funktionierender Wohnungsmarkt entstehen, ohne die beschriebenen Negativphänomene, zum Wohl aller.

Wie würden die Vermieter profitieren?
Im Moment streichen die Altmieter im ökonomischen Sinn eine Rente ein, obwohl sie nicht die Besitzer der genutzten Liegenschaft sind. Viele verhalten und fühlen sich darum wie Besitzer, wie das Beispiel Airbnb zeigt. Der Homo oeconomicus lässt grüssen.

Sie befürworten also eine Deregulierung?
Wir sind nicht für eine völlige Freigabe, aber es gibt wesentlich bessere Designs, den Wohnungsmarkt zu gestalten und gleichzeitig die Mieter zu schützen. Es braucht auf jeden Fall eine Deregulierung des Wohnungsmarktes mit mehr marktwirtschaftlichen Elementen.

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