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Zeitenwende als Chance für Nachhaltigkeit

Das Wort «Zeitenwende» wird aktuell oft und in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Epidemiologen sprechen beispielsweise von einem neuen Zeitalter und dem um ein Vielfaches gestiegenen Risiko von Pandemien. Politiker andererseits verwenden den Begriff in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und beschreiben damit das mutmassliche Ende einer stabilen Ordnung in Europa und insbesondere unter den Grossmächten. Der Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass die jüngsten Ereignisse derart einschneidend sind, dass eine Rückkehr zur bisherigen «Normalität» nicht mehr denkbar ist.

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Neue Ära im Zeichen der Nachhaltigkeit
Die Beurteilung, inwiefern ein besonderes Ereignis oder eine Krise ein neues Zeitalter einläutet, sollte man grundsätzlich Historikern überlassen. Wahrscheinlich werden diese in immer kürzer werdender Folge «Zeitenwenden» erkennen. Denn, in einer vernetzten Welt sind die Auswirkungen einzelner Ereignisse zunehmend von globaler und gesellschaftsübergreifender Bedeutung. Besonders schwierig dürfte es werden, den Zeitpunkt einer Zeitenwende hin zu einer neuen Ära der «Nachhaltigkeit» festzumachen. Erste Initiativen umweltpolitischer Massnahmen existieren seit den 1970er Jahren. Der von einzelnen Ländern beschlossene Ausstieg aus der Atomkraft könnte auch als entscheidender Wendepunkt aufgeführt werden. Dies, sofern die Prioritätensetzung nicht durch andere Ereignisse wieder über den Haufen geworfen wird. Fakt ist, dass durch die Corona-Pandemie, die Ukraine-Krise und deren kumulierte Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Ressourcen Nachhaltigkeit an politischer Relevanz verloren, das Thema an sich aber nochmals an Bedeutung gewonnen hat. Die unerwartet starke Verknappung von fossilen Brennstoffen und anderen wichtigen Handelsgütern fördert neue und alternative Strukturen zu deren Gewinnung und Distribution. Es findet ein ganzheitliches Umdenken auf globaler Ebene statt. Die jüngsten Krisen haben somit dazu beigetragen eine neue Ära der Nachhaltigkeit einzuläuten.

Gebäude sind kapital- sowie ressourcenintensiv. Sie verantworten einen massgeblichen Teil der CO2-Emissionen und des Abfallaufkommens.

Gesellschaft und Wirtschaft im Wandel
Unbestritten ist, dass wir mit stetig wachsenden, komplexen und vielschichtigen Herausforderungen konfrontiert sind. Neben den direkt spürbaren Auswirkungen von anhaltender Inflation und Preissteigerungen, Liefer- und Materialengpässen sowie den zunehmenden regulatorischen Rahmenbedingungen im Nachhaltigkeitsbereich, spielen insbesondere die indirekt damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen eine zentrale Rolle. Kundenanforderungen und die Erwartungshaltung von Mitarbeitenden gegenüber Unternehmen verändern sich. Die Pandemie hat den Wandel zu neuen Arbeitsmodellen beschleunigt, was seitens Arbeitnehmenden zu mehr Forderungen nach Flexibilität und moderner Infrastruktur führt. Der Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Auswirkungen legen Abhängigkeiten in Lieferketten offen und führen zur Explosion der Energiepreise. Dies fördert einerseits die Nachhaltigkeitsbestrebungen zum Ausbau der dezentralen erneuerbaren Energieproduktion sowie den Einsatz von regionalen Produkten und Dienstleistungen. Anderseits führt dies jedoch auch zu Entwicklungen, die im Widerspruch zu den allgemeingültigen Nachhaltigkeitszielen stehen, wie zum Beispiel der Rückgriff auf Kohleenergie oder der Entscheid der EU, Gas und Atomenergie als ökologisch vertretbar einzustufen. 

All dies stellt bestehende Praktiken und Geschäftsmodelle in Frage und hat erhebliche Auswirkungen auf die Immobilienbranche. Gebäude sind kapital- sowie ressourcenintensiv. Sie verantworten einen massgeblichen Teil der CO2-Emissionen und des Abfallaufkommens. Zudem tangieren sie als Lebens-, Wohn- und Arbeitsraum die Gesellschaft als Ganzes. Immobilieneigentümer wie Swiss Prime Site und die Nutzer sind direkt von den Auswirkungen der erwähnten Energie- und Materialpreisentwicklung betroffen.

Endliche Ressourcen sind in linearen Systemen nicht ewig skalierbar
Unser Wohlstand und das postindustrielle Wachstum beruhen auf dem Einsatz fossiler Energie und der Nutzung von endlichen Ressourcen in einem linearen Wirtschaftssystem. Dies führt dazu, dass mit zunehmendem Konsum und Bevölkerungswachstum die Ressourcen immer knapper und die Umweltprobleme sich noch weiter massiv verschärfen werden. Das vorherrschende Wirtschaftssystem bezieht externe Effekte und Umweltfolgekosten nicht konsequent mit ein, ist nicht auf nachhaltiges Wachstum und Skalierung ausgelegt und wird mit grosser Sicherheit langsam aber sicher an Grenzen stossen. Die Vergangenheit können wir nicht ändern. Im Bewusstsein der offensichtlichen Limiten und den damit verbundenen Konsequenzen müssen wir in vielerlei Hinsicht die Zeitenwende nutzen, um unser Wirtschaftssystem anzupassen. Ob dies unter dem Titel des Klima- und Umweltschutzes, einer Risikoperspektive zur langfristigen Ertragssicherung, der Gewährleistung der Versorgungssicherheit oder schlicht aus Überzeugung erfolgt, ist dabei sekundär.

Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft als Werttreiber
Nachhaltigkeit ist längst keine «notwendige Übung». Bei Swiss Prime Site, dem grössten kotierten Immobilieninvestor der Schweiz, und vielen anderen Unternehmen entwickelt sich das Thema zum Wert- und Innovationstreiber. Dies gilt ebenso für das Konzept der Kreislaufwirtschaft. Dieses zielt nicht nur darauf ab, den eigenen ökologischen Fussabdruck zu minimieren, sondern leistet vielmehr einen positiven Beitrag und eröffnet neue Geschäftsopportunitäten. Es geht darum, unsere Geschäfts- und Wertschöpfungsmodelle unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und gesellschaftlicher Aspekte zu transformieren. Die Herausforderung einer Umstellung auf Kreislaufwirtschaft liegt in der Komplexität. Einerseits gilt es, die unternehmensspezifischen Produkte und Dienstleistungen zu betrachten, andererseits rückt das gesamte Geschäfts- und Wertschöpfungsmodell in den Fokus und bedingt einen intensivierten Austausch mit Stakeholdern über die gesamte Lieferkette hinweg. Gefordert ist ein Wandel, der von Unternehmen getrieben wird, welche sich auf international gültige Standards und einen verbindlichen regulatorischen Rahmen verlassen können sollten. Die aktuellen Entwicklungen erschweren diesen Weg zusätzlich, wobei auch nicht auszuschliessen ist, dass dieser dadurch noch schneller beschritten werden kann.

Kreislaufwirtschaft und der Beitrag von Immobilien
Es ist offensichtlich, dass die Unternehmen des Immobiliensektors, wenn man Abfallaufkommen, Energie- und Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Emissionen berücksichtigt, eine zentrale gesellschaftliche Rolle einnehmen und die Verantwortung in der Transformation wahrnehmen müssen. Im Bereich der Betriebsemissionen (operational carbon) herrscht mittlerweile bei vielen die notwendige Transparenz. Gebäude werden bevorzugt mit erneuerbarer Energie versorgt und wenn möglich als aktive Energieproduzenten entwickelt. Je weiter fortgeschritten diese Entwicklung ist, desto deutlicher tritt der Immobilienbestand und die verbauten Emissionen (embodied carbon) in den Fokus. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt «Müllerstrasse Zürich» von Swiss Prime Site. Das in der Schweiz bisher am weitesten durchdachte Projekt dieser Art. 

Obschon der Lebenszyklus von Immobilien gerne als Kreis abgebildet wird, orientieren sich die darauf bezogenen Prozesse auf das vorherrschende und lineare Wirtschaftssystem. Dem gegenüber steht das umfassend definierte Konzept der Kreislaufwirtschaft, das als geeignetes Leitparadigma für eine längst fällige Transformation dienen kann. Die Grundidee ist, dass wir das heutige Modell von «take, make, use, waste» verändern und den Gedanken der Kreislaufwirtschaft insbesondere in der Konstruktions- als auch auf der Produkt- bzw. Materialebene einfliessen lassen. Für Gebäude bedeutet dies, nur das zu bauen was wirklich benötigt wird, weniger zu bauen und bestehende Bausubstanz zu erhalten, clever und effizient zu sein sowie mit den richtigen Materialien und Technologien zu bauen.
 

Zwei Aspekte, die unter dem Gesichtspunkt der Kreislaufwirtschaft in unser Denken, Handeln und Entscheiden einbezogen werden müssen, erscheinen besonders zentral. Erstens die konsequente Betrachtung des gesamten Immobilienlebenszyklus mit der erforderlichen Anpassungsfähigkeit (Nutzungsflexibilität und Verlängerung der Nutzungsphase) sowie zweitens, der Einbezug der im heutigen System externalisierten Effekte und Kosten in unsere Entscheidungen (Umweltbilanz). Nach wie vor bezieht die gesellschaftliche Debatte und das unternehmerische Handeln in Bezug auf Klimaschutzmassnahmen und Nachhaltigkeit die externen Effekte und Umweltfolgekosten noch nicht konsequent in die Gesamtrechnung mit ein. Neu ist meist günstiger als recycelt und der Mut für einen lenkungswirksamen Preis für CO2-Emissionen fehlt.

Was kurzfristig Kosten spart, kann langfristig teuer werden. Denn der Verzicht auf Investitionen in die Nachhaltigkeitsperformance von Gebäuden birgt nicht unerhebliche Risiken (Marktgängigkeit, regulatorische Entwicklungen). Die Auswirkungen des Klimawandels und die Folgen der Ausbeutung und Verschmutzung unserer Umwelt schlagen sich in verhältnismässig langsamen Prozessen nieder. 

Deshalb führen diese aber auch nicht zur Zeitenwende. Es sind plötzliche, unerwartete und schmerzliche Ereignisse, die uns in ein neues Zeitalter im ganzheitlichen Sinne der Nachhaltigkeit zwingen. Historiker werden dereinst vielleicht erst diese Ära als postindustriell bezeichnen, wenn Wissen und Information auch tatsächlich derart genutzt werden, dass eine auf Kreisläufen basierende Gesellschaft die Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen versucht.

Der Artikel wurde im Rahmen der NZZ Verlagsbeilage «Nachhaltigkeit» publiziert. Autoren: Urs Baumann, Chief Investment Officer und Martin Pfenninger, Head Group Sustainability bei Swiss Prime Site.